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Bildung Digitalisierung

Digitaler Flurfunk – Social Software als möglicher Backchannel in digitalen Lehr-Lernsituationen

Ich habe gerade einen Text von mir gefunden, den ich im April 2014 geschrieben habe, also vor 6 Jahren. Gerade mit Blick auf die aktuelle Situation und die damit verbundenen Entwicklungen finde ich, dass der Text gut gealtert ist bzw. mehr denn je zutrifft. Lehren- und Lernen im digitalen Raum braucht eben auch die Zwischenräume zwischen den Webinaren, Zoom Meetings o.Ä. um Raum für Reflexion, Vernetzung und vordergründig unsinnigen Austausch bei einem Kaffee oder dem Mittagessen zu ermöglichen. Gehörtes sacken lassen, gemeinsam nochmal dinge Besprechen etc. Ich finde ein Zoom Raum als Lobby oder entsprechende Breakouträume könnten genau diesen Effekt erfüllen. BigBlueButton beispielsweise bindet in jedem Raum standardmäßig einen Chat und ein Etherpad ein. Also Backchannels in Form von Dokumentation und Austausch untereinander.

Ich lasse den Text einfach mal unverändert hier:

Möglicher Einsatz von Social Software im Fernstudium

Präsenzuniversitäten versuchen die Vernetzung von Lernenden und Lehrenden sowie Peervernetzungen bereits in der Studieneingangsphase zu unterstützen (Bosse, 2014). Diese soziale Vernetzung ist im Fernstudium und in online Kursen wie MOOCs sehr viel schwieriger und benötigt daher besondere Aufmerksamkeit seitens der didaktischen Gestaltung (vgl. Kerres, 2013, S. 139f.), da die wahrgenommene soziale Eingebundenheit ein entscheidender Faktor für die Motivation der Lernenden ist (vgl. Krause & Stark, 2010).

Social Software soll dazu dienen kollaborativ(es) Wissen zu konstruieren, verfügbar zu machen sowie soziale Beziehungen aufzubauen und zu pflegen (vgl. Baumgartner). Eine Herausforderung dabei ist, dass der Einsatz von Medien, und somit auch von Social Software, unterschiedlich aufgefasst wird. So fand Schulmeister heraus, „[…] wünscht sich die weitaus grösste Mehrheit einen moderaten Einsatz. […] Die Kommunikationsfunktionen, hier E-Mail und Chat, erhalten hohe Zustimmung, während virtuelle Seminare mit 78% abgelehnt werden“ (Schulmeister, 2009, S. 18).

Allerdings bezieht sich Schulmeister hier auf Präsenzstudiengänge und nicht auf die Fernlehre, welche stärker auf den Einsatz von Medien angewiesen ist. Auch die Dynamik der Zusammengehörigkeit könnte von Bedeutung sein. Schulmeister konstatiert weiter, dass sich nur bestimmte Dienste durchsetzen. Es werden diejenigen Dienste, „ […] die einen deutlichen Mehrwert versprechen, [werden] gewählt, die anderen abgewählt“ (Schulmeister, 2009, S. 18).

Die soziale Komponente, also der Aufbau und die Pflege von sozialen Verbindungen sind im Fernstudium allerdings höher zu gewichten, da diese mangels Präsenzveranstaltungen auf mittelbarem Weg erzeugt werden muss. Die Studierenden könnten von einer stärkeren sozialen Vernetzung auf mehrere Weisen profitieren. Zum einen lässt sich so der möglichen Isolation des Einzelnen entgegenwirken, zum anderen können die Studierenden im Sinne des Konnektivismus (vgl. Siemens, 2005) ihr Wissen in das Netz verlagern indem sie auf die Ressourcen ihrer Vernetzungen zugreifen und sich gleichzeitig mit Kommilitonen und Kommilitoninnen zu Reflexionszwecken vernetzen und somit ihre eigene Social Presence erhöhen (Kerres, 2013, S. 194ff.). Wie Bosse in Ihrer Präsentation berichtet (Bosse, 2014), möchte die Universität Hamburg, unter anderen die Peer Beziehungen gerade in der Studieneinstiegsphase stärken. Dies ist auch für das Präsenzstudium ein wichtiger Bestandteil. Um dies allerdings im Fernstudium zu erreichen muss ein Umweg über Medien genommen werden. Social Software wird dabei bereits eingesetzt. Beispielsweise wird Twitter als Backchannel benutzt und hat sich vor allem in MOOCs bewährt (vgl. van Treeck & Ebner, 2013).

Angelehnt an den 5. Leitsatz von Baumgartner, „statt Inhalte (Content) müssen vor allem Kommunikationsstrukturen gestaltet werden“, (Baumgartner) besteht eine Möglichkeit für die stärkere soziale Vernetzung von Lernenden durch die aktive Gestaltung der Kommunikationsstrukturen die während eines Fernstudiums oder eines Online Kurses benutzt werden. Dies wäre z.B. durch das Anbieten eines weiteren Backchannels, welcher in der Handhabung bereits bekannt ist, möglich. Mir fällt dazu vor allem ein Chat ein. Beispielsweise in Form eines permanenten IRC Kanals. Dies ist für sich genommen noch keine Social Software, könnte aber ein niedrigschwelliges Kommunikationsangebot sein, um Fragen oder Ideen formlos und schnell zu Diskutieren und somit Sichtbarkeit und Austausch zwischen den Lernenden zu erhöhen (Kerres, 2013, S. 192f.), was sich positiv auf aktive Partizipation auswirken kann (ebd.). So bestünde die Möglichkeit, die Gespräche, bzw. erste Reflexion, zwischen den Studierenden vor und nach einer Präsenzveranstaltung zu kompensieren. Gerade in der Anfangsphase einer virtuellen Gruppe ist die Möglichkeit der synchronen Kommunikation wichtig (vgl. Kerres, 2013, S. 199). Auch ist es interessant über eine Dokumentation nachzudenken um den Zugriff auf diesen Kanal auch später zu ermöglichen. Natürlich sollte solch ein Kanal die beim Einsatz in einem MOOC den Kriterien für Open entsprechen.

So könnte ein integrierter, dabei aber nicht moderierter, permanenter Backchannel zum Studienerfolg bzw. Lernerfolg durch Vernetzung beitragen.

Literatur

Baumgartner, P. Web 2.0: Social Software & E-Learning. Computer + Personal (CoPers), 14. Jg. (8). Schwerpunktheft: E-Learning und Social Software.

Bosse, E. (2014, März). Kritische Anforderungen in der Studieneingangsphase: „same same but different“, Braunschweig. Zugriff am 26.04.2014. Verfügbar unter https://www.conftool.com/dghd2014/sessions.php

Kerres, M. (2013). Mediendidaktik. Konzeption und Entwicklung mediengestützter Lernangebote (4., überarbeitete und aktualisierte Aufl). München: Oldenbourg.

Krause, U.-M. & Stark, R. (2010). Motivation. In S. Nolda, E. Nuissl & R. Arnold (Hrsg.), Wörterbuch Erwachsenenbildung (2., überarb, S. 215f). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Schulmeister, R. (2009). Thesen zum Einsatz von Web 2.0 in der Lehre. CSP E-Learning ZFH: E-Learning aus Sicht der Studierenden. Befragungen – Statistiken – Thesen, aber auch Konsequenzen?, 2010.

Siemens, G. (2005). Connectivism: A Learning Theory for the Digital Age. International Journal of Instructional Technologie & Distance Learning, 02 (1). Zugriff am 24.04.2014. Verfügbar unter http://www.itdl.org/Journal/Jan_05/article01.htm

van Treeck, T. & Ebner, M. (2013). How Useful Is Twitter for Learning in Massive Communities? An Analysis of Two MOOCs. In K. Weller, A. Bruns, J. Burgess, M. Mahrt & C. Puschmann (Hrsg.), Twitter & Society (S. 411–424). Zugriff am 26.04.2014. Zugriff am 26.04.2014. Verfügbar unter http://elearningblog.tugraz.at/archives/6724

Zuerst am 27.04.2014 hier veröffentlicht:
https://mrgnz.de/wiki/doku.php?id=elearning:social_software

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Bildung Digitalisierung Educamp Meinung

Sprunghafter Kulturwandel

Matthias Rohs konstatiert 2018 dass der Kulturwandel hin zu mehr sinnvollem E-Learning sich nur langsam vollzieht und Jöran schreibt im Kontext von digitaler Schule und Covid-19 von großen Sprüngen statt kleinen Schritten und mir erscheint das weiterhin sehr zurückhaltend. Beides sind valide Feststellungen aber zeugen von weiterhin von einer schrittweisen, pfadabhängigen vorsichtigen Progression.

Was sich allerdings derzeit Zeigt, ist dass die Veränderung eine Klippe braucht, an die man mit kleinen Schritten aber dennoch viel zu schnell herantritt und sie nicht anders überwinden kann, als zu springen, weil hinter einem der Boden zu Lava wird. Manche Akteure springen nun mutig Kopf voraus und landen unsanft, andere zögern springen aber dann auch. Manche zögern immernoch und viele entdecken, dass sie mit dem richtigen Equipment gut landen. Macht ja auch Sinn: Besser man hat Abseiltechnik und Wissen darüber diese einzusetzen als nichts. Besser noch man hat einen Fallschirm und kann ihn bedienen. Diejenigen die den Fallschirm hatten konnten schnell reagieren und bspw. wie aus dem nichts das Educamp 2020 online durchführen, was eigentlich in Frankfurt am Main hätte stattfinden sollen. Und bei vielen Teilnehmenden (bzw. Teilgebenden) gab es durchaus Aha-Effekte. Es geht also doch und hat sogar Vorteile. Für einige war die Reise zeitlich/räumlich nicht möglich gewesen. Dafür aber war es einfach sich aus dem Wohnzimmer, Garten, Balkon, etc. dazuzuschalten und ggf. sogar eine Spontane Session zu organisieren. So ging es auch mir. Und da sich in der besser verständlichen Vorstellungsrunde mit ca. 50 Teilnehmenden herausstellte, dass es eine überraschend hohe Anzahl Personen aus der Erwachsenenbildung gab, konnte ich ein EB-Meetup im Educamp in die Sessions eintragen. Es half vermutlich beim Educamp, dass der Bekanntheitsgrad der anwesenden zumindest in Teilen schon etwas größer war, sodass sicherlich auch Barrieren und Hemmschwellen geringer waren.

Einige Nachteile gab es sicherlich auch. Mikros wollten nicht wie sie sollten, Kameras gingen nicht an, Internetverbindungen wurden getrennt, falsche Fenster geschlossen aber es war doch nicht so störend wie gedacht. Es ist weiter kein Ersatz für ein persönliches Meeting. Aber wenn die technischen Parameter stimmen und sich nicht mehr in den Vordergrund drängen ist es ein erschreckend gutes Substitut.

Ich zweifel allerdings ein Stück weit daran, dass wir (Gesellschaft, Bildungsmenschen) ohne diese zweifellos schlimme Pandemie überhaupt in den nächsten zwei oder drei Jahren an diesen Punkt gekommen wären, denn ohne Veränderungsdruck werden doch wieder nur kleine, pfadabhängige Schritte gemacht. Und somit hat die Pandemie viele viele Personen einfach ganz böse von der Klippe geschubst. Aber da waren dann schon viele Wege vorbereitet, von denen die schonmal unten angekommen waren. Jezt zeigt sich welche Wege sich festigen und weiter genutzt werden oder doch wegbröckeln, weil Sie ggf. schlimme Datenschutzprobleme haben. Aber es braucht mehr radikale Veränderungen und mehr Veränderungsdruck, um in der Lehr-Lernkultur signifikant etwas zu ändern. Vielleicht lieber mal im Hopserlauf loslegen als mit kleinen Schritten. Oder bevor es losgeht das Equipment checken, falls einen jemand von der Klippe schubsen will, um den Kulturwandel schnell zu leben.