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Bildung Sooc13

sooc13: Gelhards Kritik der Kompetenz

Im Wesentlichen ist dies hier eine subjektive Wiedergabe einiger Thesen aus dem Buch „Kritik der Kompetenz“ von Andreas Gelhard.
Dieser baut seine Kritik historisch auf. Aber nicht etwa erst ab Chomsky,dem Begründer des modernen Kompetenzbegriffs, sondern er beginnt im Wesentlichen bei Kant und Hegel. Die Aufklärung, die Gewissensprüfung und die daraus ableitbaren Kontrollmechanismen, welche sich über die Zeit von einer übergeordneten Instanz in das Individuum verschieben und somit omnipräsent werden und damit die heutigen Diskussion um Bildung und die Bildung selber beeinflussen sind die zentralen Gegenstände dieses spannenden Buches.

Kant: Freie und öffentliche Prüfung.

Selbst das Denken unterliegt den bürgerlichen Zwängen und ist nicht so frei wie vermutet. Erst ein öffentlicher Diskurs, bzw. das öffentliche Äußern der Gedanken erhebt diese zu Denken. Der „bürgerliche Zwang“ sei es, der jedoch diese öffentliche Äußerung verhindert (S.19.). Zudem gibt es noch den Gewissenszwang, der die Furch vor Strafe schürt und somit vor einer vernünftigen Prüfung der eigenen Handlungen abhält (ebd.) und der zentrale Aspekt bei der Manifestation der Kompetenz ist.
Gelhard bezieht sich auf Kants Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit („von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlich Gebrauch zu machen“) und postuliert „Selbstdenken ist eine Tätigkeit zu mehreren. Sie ist an die öffentliche Äußerung von Gedanken gebunden, weil Denken bedeutet, sich anderen mitzuteilen“.
Auf heute bezogen könnte als konstatiert werden, dass Bloggen ein Weg oder zumindest ein Wegabschnitt aus dieser Unmündigkeit sein könnte. Vorausgesetzt man möchte Kant in Bezug zur digitalen Welt setzen.

Omnipräsenter Prüfer

Gelhard beruft sich auf Hegels Kritik der Gewissensprüfung wenn er sagt: „Die Selbstprüfung des Gläubigen ist Selbstprüfung unter den Augen eines selbst nicht sichtbaren Prüfers und bleibt durchgehend auf Gott als den großen Mitwisser unserer Handlungen bezogen“.
Im Zeitalter von religiöser Dominanz gegenüber den Menschen, geht dieser Prüfer in die Kirche und die Gemeinde über. Ein jeder prüft seinen Nachbarn ob der korrekten Einhaltung der kirchlich vorgegebenen Regeln, welche aber nicht von ihnen festgelegt wurden. Jede Abweichung wird sanktioniert. Meist durch soziale Mechanismen oder eben durch kirchliche Mechanismen.
Als Evolution dieser Mechanismen stellt Gelhard einen, für die Mechanismen der Kompetenz, wegweisenden Wechsel in der Betrachtungsweise fest.

„Die Gewissensprüfung folgt der Unterscheidung in „Erlaubtes und Verbotenes“, während die psychologischen Prüfungen einem humanwissenschaftlichen Dispositiv angehören, dessen Elemente darauf ausgerichtete sind, zu „regeln“, zu „verwalten“ und dafür zu sorgen, dass die Verfahren der Individualisierung „optimal funktionieren. Dieser Umstellung von Strafandrohung auf Verhaltensoptimierung entspricht die terminologische Unterscheidung zwischen Untersuchung und Prüfung, die Foucault in Überwachen und Strafen und einigen Texten aus dem Umfeld des Buches trifft.“ (S.34f.)

Es wird also nicht mehr bestraft sondern gezielt und grundlegend positiv konnotiert eingegriffen und geregelt. Was jedoch gefördert wird legt jedoch nicht der Mensch selber fest.
Kleists Kritik am Examen nimmt die reproduktiven Anforderungen der akademischen Prüfungen in Augenschein und setzt ihnen das kreative Handeln „in Gesellschaft“ entgegen (S. 122), welches aber einen Diskurs bzw. gewisse Störungen inkludiert um diese Kreativität zu aktivieren und somit im Konflikt mit den modernen, auf verwertbare Ergebnisse optimierten Testverfahren kollidiert (ebd.).

Ein weiterer wichtiger Bruch ist nach Gelhard der von Foucault analysierte Wechsel von der „Initiationszeit der traditionellen Ausbildung“ zur „Disziplinarzeit“ (vgl. S.38.). Auch in diesem (pädagogischen) Setting ist eine stete Überwachung und Überprüfung der Menschen bereits Teil des Systems. Dieses System ermöglicht zudem auch, dass der Einzelne, da er ja im herrschenden System erfolgreich sein will, vermeintlich freiwillig die geforderten Kompetenzen aneignet.

Psychotechnik

Die (angewandte) Psychologie entwickelte die Psychotechnik (Psychologie und Metaphysik) um das menschliche Leben möglichst in seiner Gesamtheit mit Hilfe von geeigneten Methoden erfassen zu können.
Mit den Persönlichkeitstests zog die Beurteilung der Menschen dann auch in den privaten Bereich der Menschen ein. Ein Umstand, der in den heutigen Kompetenzverständnissen manifestiert ist und in Form von Einstellungen und Werten abgefragt wird und somit Teil der Qualifikation ist. Besteht in diesem Segment der Kompetenz des Individuums keine Passung, so gilt dieses möglicherweise bereits als inkompetent.
Im Weiteren wurde versucht die Psychotechnik in die Wirtschaft zu importieren. Dabei war die Zielsetzung nicht die Menschen zu erforschen, sondern Mechanismen und Methoden der Selektion und Anpassung der Menschen zu finden. So sollte der Wirtschaft ein Instrumentarium im tayloristischen Sinne an die Hand gegeben werden.
Die produktive Seite der Macht wäre es nach Foucault in Folge dessen, die Person effektiv auszubauen um durch sie höhere Leistung für die Organisation zu erzielen!

Bereits McClelland befürchtete, dass Tests so entworfen werden, dass der Proband nur die erwarteten Reaktionen zeigen oder sie enttäuschen kann (S. 122). Die erwartete Kreativität von Erpenbeck und Rosenstiel (Handbuch Kompetenzmessung) basiere laut Geldhard nur auf Verwertungsgesichtspunkten und erfüllt somit bereits McClellands Befürchtungen. „Was wir erwarten, sind überraschende Lösungen, ist schöpferisch Neues.“ (Erpenbeck & Rosenstiel S. XIX). Dabei bleibt fraglich in wie fern dies überhaupt möglich ist, wenn doch nach McClelland die Ergebnisse doch schon vorgegeben sind.

Die Selbstorganisation

Kompetenz soll Freiheit bedeuten, es stellt sich aber heraus, dass es nur eine begrenzte Freiheit durch vorab selektierte Wahlmöglichkeiten ist.
Dadurch kann Normalisierung entstehen, welche durch ihren Einsatz das Potential entwickelt andere Ideen und Normen zu verdrängen oder zu überlagern. So ist es mir selber schon begegnet, dass ich im Vorstellungsgespräch für einem Aushilfsjob über die Kompetenzsäulen informiert wurde, in denen sich das Unternehmen gut aufgestellt sieht.

Kompetenz ersetzt Intelligenz

Seit McClellands Aufsatz „Rather testing for competence than intelligence“ wird der Begriff Kompetenz immer häufiger eingesetzt. Die für Gelhard einfachste Begründung, Kompetenz als etwas zu betrachten, dass menschliches Verhalten zuverlässlich vorhersagt, wird zugunsten eines Eindrucks von Kreativität und Selbstständigkeit meist nicht verwendet (vgl. S143). Marketing für einen Begriff, der einen Unterschied in der Bildungslandschaft ausmacht.

Die Kernaussage ist meiner Meinung nach, dass es Mechanismen geben, die das Konzept der Kompetenz so etabliert haben, dass es sich selbst in der Gesellschaft erhält. Kompetenz erwerben, um eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben, um den eigenen Status zu erhalten oder zu verbessern. Dabei ist egal was man macht, Hauptsache man arbeitet immer auf das Fremdbestimmte Ziel der Kompetenz hin. Die Kompetenz soll Wahlfreiheit und Chancen für jeden Einzelnen suggerieren und die differenzierte Gesellschaft in ihrer komplexen Gesamtheit erfassen. Dabei sind die Inhalte oder Definitionen von Kompetenz sehr häufig willkürlich und schwammig und stammen nicht aus einem öffentlichen Diskurs. Dabei dient das Konzept Kompetenz nicht dem Einzelnen oder der Bildung oder der Gesellschaft, sondern zielt überwiegend auf wirtschaftliche Verwertbarkeit ab und somit auf eine Maximierung des Humankapitals.
In wie fern diese Verwertbarkeit gewollt, gesund oder notwendig für eine kapitalistisch organisierte Gesellschaft ist, wird nicht aufgegriffen.
Dies, so finde ich, wäre eine spannende Anschlussfrage und Gelhards Buch liefert eine schöne philosophische Grundlage um das Kozept von Kometenz aus einer Sichtweise von vielen betrachten zu können.

Ich habe das Buch im Rahmen meiner Diplomarbeit letztes Jahr gelesen und für den Artikel hier erneut überflogen. Ich wollte diesen schon früher fertig haben, jedoch wurde ich von Arbeit und einer dicken Erkältung gut beschäftigt. Um das jetzt aber nicht noch länger hinauszuzögern und meinen angekündigten Termin einzuhalten veröffentliche ich den Beitrag jetzt, auch wenn er noch eine Woche Arbeit vertragen könnte.

Ich freue mich auf konstruktive Kommentare und eine rege Diskussion, auch gerne im IRC unter chat.freenode.net (port 665 ohne SSL – port 7000 mit SSL) im Channel #sooc13.

Quelle:

Gelhard, Andreas. Kritik der Kompetenz. 2012.
ISBN: 9783037341438
http://www.diaphanes.net/buch/detail/347

Weiteres Material

Die Fernuni Hagen bietet einen Vortrag von Andreas Gelhard auf ihrer Homepage. Dort gibt dieser eine Einführung in seine Kritik der Kompetenz.
Video

Initiiert wurder der Beitrag durch einen Livesession im Rahmen des @sooc13

Das Etherpad zu dieser Session ist hier zu sehen:
pad zur livesession vom 07.06.13

2 Antworten auf „sooc13: Gelhards Kritik der Kompetenz“

Ein lesenswerter Beitrag, wobei man vieles kürzer ausdrücken könnte. Mir fehlt hier ein bißchen der semantische Bezug zum Wort Kompetenz und darüber hinaus eine Definition des Begriffs. Ich selbst bin durch Franz Schott geprägt und Definiere Kompetenz (in Bezug auf das Lehren und Lernen) als eine Klasse von Aufgaben, die jemend bewältigen kann, wenn er die Kompetenz besitzt. Daran geknüpft ist der Grad, in dem die Aufgabe bewältigt werden kann und auch die Nachhaltigkeit. Eine Aufgabe lösen zu können sagt nichts über die Qualität der tatsächlichen Lösung aus. Eine Kompetenz sollte zudem eine andauernde Fähigkeit beschreiben, d.h. unabhängig vom Zeitpunkt des Kompetenzerwerbs sein.
Nimmt Schotts Definition als Ausgangspunkt, dann sind kreative Aufgaben keinesfalls ausgeschlossen, Problemlösungen schon gar nicht.

Danke für deinen wertvollen Kommentar.
Franz Schott sagt mir in der Tat nichts, obwohl ich mich letztes Jahr ein Halbes Jahr mit dem Thema beschäftigt habe.
Eine Prämisse habe ich allerdings tatsächlich in dem Text vergessen. Es ging mir nicht darum eine Definition von Kompetenz herauszuarbeiten, sondern darum Gelhard wiederzugeben.
Allerdings denke ich, dass der Diskurs um die Kompetenz nicht weiter dezentral geführt werden sollte. Es bedarf meiner Meinung nach einer zentralen und anerkannten Kritik. Auch daher sperre ich mich vor Definitionen. Kompetenz kann und wird immer wieder in Abhängigkeit vom Kontext definiert und zurecht gebogen. Ganz zu schweigen von der alltäglichen, inflationären Verwendung des Begriffs in Kombination mit allen möglichen Tätigkeiten.
Immerhin finde ich es gut, dass du nicht von Weinert ausgehst.
Dein durch Schott geprägtes Verständnis erinnert mich an eine Veröffentlichung von Guido Franke [Komplexität und Kompetenz](https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&cad=rja&ved=0CDwQFjAB&url=http%3A%2F%2Fwww.die-bonn.de%2Fdoks%2Freport%2F2003-rezension-komplexitaet-und-kompetenz.pdf&ei=ytPKUZOJBs7BtAaX9oCgAg&usg=AFQjCNGvgx7xfXy77XYA_tqKbEIqkzX8gA&sig2=YCYCFdf18S949shFDMkh9Q) Kritik vom [DIE](http://www.die-bonn.de)
Denn wenn man schon von Kompetenz redet fehlt es oft an einer internen Differenzierungslogik für die unterschiedliche Komplexität von Aufgaben und Kompetenzen.

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